Überwiegend ist das deutsche Erbrecht modern und den heutigen gesellschaftlichen Anschauungen angepasst. Doch gelegentlich legt es erstaunlich altmodische Anschauungen an den Tag:

Zwei Abkömmlinge, die jeweils vor dem Jahr 1949 geboren wurden und deren Väter jeweils 2007 und 2006 gestorben haben, wurde die Erteilung des Erbscheins verweigert.

Grund laut den Nachlassgerichten: Nichteheliches Kind.

Diese Begründung klingt heutzutage befremdlich. Vor allem nachdem unser Grundgesetz in Art. 6 Abs. 5 die Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder unzweideutig anordnet.

Zudem war Abkömmling Nr. 1 von seinem Vater anerkannt und stand mit ihm in Kontakt. Die Ehefrau des Vaters wusste von der Existenz des nichtehelichen Kindes.

Abkömmling Nr. 2 war seinem Vater ebenfalls bekannt: Dieser wurde zu Unterhaltszahlungen an ihn verurteilt. Der Vater verfügte in seinem Testament, dass seine ehelich geborene Tochter Alleinerbin werden sollte.

Die gesetzliche Grundlage für diese Entscheidungen bestand in Art. 12, § 10 Abs. 2 S. 1 NEhelG, wonach vor dem 01.07.1949 unehelich geborene Kinder, weiterhin nach den alten Regelungen, von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen sein sollten.

Entschärft wurde diese Ungleichbehandlung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Jahre 2009, sodass Erbfälle ab 2009 nicht mehr der „1949er-Regelung“ unterfallen sollten.

Damit setzte sich der EGMR in ausdrücklichen Gegensatz zum BverfG, das in derselben Sache die ungleiche Behandlung als rechtmäßig erachtet hatte.

2011 wurde ein Gesetz in Kraft gesetzt, das rückwirkend die Erbfälle ab 2009 ausnehmen sollte.

Diese Ausnahme half den beiden Söhnen jedoch nicht.

Der Anlass für diese Diskriminierung war zu diesem Zeitpunkt jedoch auf den ersten Blick recht vernünftig: Grund für Art. 12, § 10 Abs. 2 S. 1 NEhelG war, dass man das Vertrauen auf die frühere Rechtslage schützen und Schwierigkeiten bei der nachträglichen Vaterschaftsfeststellung vermeiden wollte.

Die Geltung ab 2009 hatte den Sinn, dass mit dem Urteil des EGMR kein Vertrauen mehr in die alte Rechtslage bestand und deswegen kein dahingehender Schutz mehr erbracht werden musste.

Für die Erbfälle vor 2009 wollte der Gesetzgeber jedoch weiterhin Unklarheiten vermeiden. Denn einige Nachlässe von Personen waren bereits in die Hände des Staates übergegangen – da damals noch die gegebenenfalls vorhandenen nichtehelichen Kinder als Erben ausgeschlossen waren.

Damit war der EGMR jedoch ebenfalls nicht einverstanden.

Die beiden Söhne klagten vor dem EGMR mit der Begründung, in Art. 14 EMRK verletzt zu sein, da sie aufgrund ihrer Geburt diskriminiert würden.

Der EGMR gab ihnen Recht (Urteile vom 09.02.201 und 23.03.2017, Az.: 59752/13, 66277/13):

Zwar sei die Bestimmung eines Stichtags für die Anwendbarkeit neuer Vorschriften, mit denen vergangenes Unrecht korrigiert wurde, für sich genommen nicht diskriminierend und ein angemessenes Mittel, Klarheit herzustellen und Rechtssicherheit zu bewahren.

Weil es jedoch von besonderer Bedeutung sei, alle Unterschiede bei der Behandlung ehelicher und nichtehelicher Kinder zu beseitigen, habe die auf die Rechtssicherheit gestützte Begründung der deutschen Gerichtsbarkeit zwar Gewicht, genüge hier aber angesichts der Anerkennung bzw. Kenntnis der Vaterschaft nicht, sich über die Ansprüche der Beschwerdeführer auf einen Anteil am Nachlass ihres Vaters hinwegzusetzen.

Mit diesem Urteil wurde tatsächlich ein Stück weit Gerechtigkeit geübt – was nicht jedem Urteil zugesprochen werden kann.

Der EGMR hat aufgezeigt, dass es unter Beibehaltung von Rechtssicherheit möglich ist, faire Einzelfallentscheidungen zu treffen.

Noch ist die Entscheidung nicht rechtskräftig. Bleibt die Bundesregierung jedoch untätig, entsteht Bindungswirkung an das Urteil, sodass es unter europäischer Aufsicht umzusetzen ist.

Wenn auch Sie sich mit den Maßgaben des Art. 12, § 10 Abs. 2 S. 1 NEhelG und der „1949er-Regelung“ konfrontiert sehen, helfen wir Ihnen gerne. Wir untersuchen Ihren Fall und entwickeln je nach Sachlage eine Strategie, sodass auch Sie sich möglichst keiner Ungleichbehandlung aussetzen lassen müssen.

Vereinbaren Sie gerne einen Termin zur Erstberatung.

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