Der sogenannten „Rechtshängigkeit“ kommt im Zivilrecht eine bedeutende Rolle zu. Sie tritt im Zivilprozess ein, wenn einem Beklagten die Klage zugestellt wurde. Eine Stufe davor spricht man von der „Anhängigkeit“, die durch Eingang der Klage bei Gericht beginnt.

Die Rechtshängigkeit begründet ein Prozessrechtsverhältnis zwischen den streitenden Parteien. Sie bewirkt u.A., dass der vor Gericht gebrachte Streitgegenstand von nun an vor kein anderes Gericht getragen werden kann. Darüber hinaus setzt die Rechtshängigkeit den Zeitpunkt fest, ab welchem Prozesszinsen verlangt werden können und begründet eine Hemmung der Verjährung des prozessual verfolgten Anspruchs.

Die Rechtshängigkeit wird mitunter beendet, wenn durch Urteil eine rechtskräftige Entscheidung über den Streitgegenstand fällt.

Mit diesem Grundwissen sei der folgende Fall vorgestellt, über den der BGH am 23.05.2017 zum Az. VI ZR 261/16 urteilte.

Der 1920 in der Ukraine geborene Erblasser kämpfte im zweiten Weltkrieg in der Roten Armee, ehe er in deutsche Kriegsgefangenschaft geriet. In den 1970er Jahren kam gegen ihn erstmals der Verdacht auf, er sei als Verbündeter der Nationalsozialisten an der Massenermordung von Juden in Konzentrationslagern beteiligt gewesen. Im Mai 2011 verurteilte ihn das LG München II wegen im Jahr 1943 im Vernichtungslager Sobibor erfolgter 16-facher Beihilfe zum Mord an 28.060 Juden zu einer Freiheitsstrafe. Sowohl der Erblasser als auch die Staatsanwaltschaft legten Revision ein, über die nicht mehr entschieden wurde, weil der Erblasser am 17.3.2012 starb. Der Betreiber eines Internetportals berichtete regelmäßig, vor dem Tod des Erblassers, unter voller Namensnennung über das Strafverfahren. Unter Anderem schrieb es im Mai 2010 einen Artikel unter der Überschrift „Vor Gericht spielt er den bettlägrigen, alten Mann. D singt und lacht im Knast“. Mit der im November 2011, also noch zu seinen Lebzeiten zugestellten Klage nahm der Erblasser das Internetportal im Hinblick auf diesen und eine Reihe weiterer dort veröffentlichter Artikel wegen Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe eines Mindestbetrags von 5.100 Euro in Anspruch. Die Ehefrau des Erblassers wollte den Prozess als Alleinerbin fortführen.

Das Gericht wies die Klage jedoch ab:

Ein Anspruch auf Geldentschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sei nämlich selbst dann nicht vererblich, wenn der Erblasser erst nach Rechtshängigkeit des Anspruchs, aber vor dessen rechtskräftiger Zuerkennung (durch Urteil) sterbe.

Dieser Auffassung schlossen sich auch das Berufungs- und Revisionsgericht an.

Unabhängig davon, ob der Schadensersatzanspruch im konkreten Fall tatsächlich bestanden habe, könne die Klägerin den Anspruch des Erblassers nicht verfolgen.

Bereits 2014 habe der BGH klargestellt, dass ein solcher Anspruch grundsätzlich nicht vererblich sei – zumindest nicht, wenn der Erblasser vor Rechtshängigkeit des anhängig gemachten Anspruchs sterbe. Was für den Fall der Rechtshängigkeit gelte, habe der BGH damals offengelassen.

In dem vorliegenden Fall sei nun aber keine Ausnahme von der Unvererblichkeit eines Anspruchs bei Persönlichkeitsrechtsverletzung zu machen.

Die Rechtskraft entfalte materiell-rechtlich zwar rechtserhaltende Wirkungen. Hintergrund dieses Rechtserhalts sei jedoch typischerweise, dass der Rechtsgegner nach einer bestimmten Zeit Klarheit darüber erhalten solle, ob das Recht nun verfolgt würde oder nicht. Bei einem Geldentschädigungsanspruch wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts sei dies im Hinblick auf der Frage der Vererblichkeit jedoch gleichgültig. Es ginge nicht darum, dass der Anspruch aus Gründen des Rechtsfriedens, der Rechtsklarheit oder zum Schutz des Verletzers zu Lebzeiten des Verletzten geltend gemacht werden müsse, um Rechtsnachteile zu verhindern.

Von dem Ausgangspunkt der Unvererblichkeit vor Rechtshängigkeit folge die auch spätere Unvererblichkeit. Sie sei unabhängig von der Schutzwürdigkeit des Verletzers oder des Rechtsverkehrs zu sehen und resultiere vielmehr aus der Funktion dieses Geldentschädigungsanspruchs.

Die Funktion von Schadensersatzansprüchen wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen bestünde primär in der Genugtuung. Mit dem Tod des Verletzten verliere die von der Geldentschädigung bezweckte Genugtuung an Bedeutung. Sie sei nicht mehr erreichbar.

Aus diesem Gedanke folge, dass auch ein rechtshängiger Geldentschädigungsanspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht vererblich sei. Denn ebenso wenig wie der Erblasser bereits mit der Einreichung der Klage Genugtuung erlange, erlange er sie mit deren Zustellung. Die Genugtuung trete erst mit der rechtskräftigen Zuerkennung des Anspruchs auf Geldentschädigung ein.

Dies sei vorliegend noch nicht geschehen.

Mit diesem Urteil bleibt der BGH seiner Rechtsprechungslinie treu: Ansprüche wegen Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind nur in seltenen Ausnahmefällen erblich.

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