Mit einem Testament aus dem Jahr 1995 setzten sich die Eltern zweier Kinder wechselseitig zu Erben und ihre Kinder zu gleichen Teilen als Erben des überlebenden Ehegatten ein. Nachdem die Mutter verstarb, übertrug der Vater mit einem Vertrag im Jahr 1999 sein Hausgrundstück auf seine Tochter. Der Vater, der zu diesem Zeitpunkt 71 Jahre alt war, behielt sich an dem Grundstück ein lebenslanges Nießbrauchsrecht sowie ein vertragliches Rücktrittsrecht vor. Darüber hinaus verpflichtete sich die Tochter, den Erblasser „Zeit seines Lebens in gesunden und kranken Tagen, jedoch nur bei Bedarf, in seiner Wohnung vollständig und unentgeltlich zu pflegen und zu betreuen bzw. ihn kostenlos pflegen und betreuen zu lassen“. Der Verkehrswert des Grundstücks wurde mit 140.000 DM angegeben. Der Vater verstarb 2012. Er hatte bis kurz vor seinem Tod in dem Haus gewohnt, ohne pflegebedürftig geworden zu sein. Später veräußerte die Tochter das Grundstück für 120.000,- Euro.

Der Sohn des Erblassers war der Auffassung, es habe sich bei der damaligen Übertragung des Grundstücks um eine ihn beeinträchtigende Schenkung gehandelt, sodass er gegen seine Schwester auf Zahlung von 60.000,- Euro klagte. Das Land- und Kammergericht Berlin schlossen sich der Ansicht des Klägers an.

Möglicherweise zu Unrecht, wie der BGH in seinem Urteil vom 28.09.2016 (zum Az. IV ZR 513/15) entschied.

Gem. § 2287 Abs. 1 BGB kann eine beeinträchtigende Schenkung vorliegen, wenn zum Einen eine Schenkung i.S.d. § 516 BGB vorliegt und zum Anderen auf Seiten des Erblassers die Absicht bestand, den Vertragserben zu beeinträchtigen. Als Rechtsfolge ordnet die Vorschrift an, dass dasjenige, was der Beschenkte durch die Beschenkung unrechtmäßigerweise erlangt hat, an den Beeinträchtigen herausgeben muss. Nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist die Vorschrift des § 2287 BGB auf das gemeinschaftliche Testament – wie hier im oben geschilderten Fall gegeben – analog anwendbar.

Der BGH stellte zunächst fest, dass es sich bei der Übertragung des Grundstücks um eine gemischte Schenkung gehandelt habe. Denn bei der Bewertung von Leistung und Gegenleistung seien auch der Nießbrauch, die Pflegeverpflichtung und das Rücktrittsrecht zu berücksichtigen.

Dingliche Belastungen wie das Nießbrauchsrecht milderten von vornherein den Wert eines schenkweise zugewendeten Grundstücks und seien daher bei der Berechnung des Wertes in Abzug zu bringen. Dabei führte der BGH aus, dass der vorbehaltene Nießbrauch mit dem kapitalisierten Wert der hieraus zu ziehenden Nutzungen anzusetzen sei. (Dieser Wert kann tatsächlich konkret berechnet werden, würde aber den Rahmen dieses Beitrages überschreiten. Interessierte seien an dieser Stelle auf § 14 Bewertungsgesetz verwiesen).

Auch die übernommene Pflegeverpflichtung sei als Gegenleistung in Abzug zu bringen. Es sei insoweit irrelevant, dass der Erblasser nie pflegebedürftig geworden sei. Der entscheidende Zeitpunkt für die Berechnung des Werts der vertraglich versprochenen Pflegeleistung sei nämlich der Vertragsabschluss. Insofern sei maßgeblich, von welchem möglichen Pflegeaufwand Vater und Tochter bei Vertragsschluss ausgegangen seien.

Das vorbehaltene Rücktrittsrecht sei ebenfalls wertmindernd anzurechnen.

Anhand dieser Bewertung kam der BGH zu dem Schluss, dass zumindest teilweise ein Anspruch des Sohns in Betracht kam.

Allerdings müsse dieser noch beweisen, dass sein Vater in der Absicht gehandelt habe, ihn zu beeinträchtigen. Ein solcher Missbrauch liege nicht vor, wenn der Erblasser ein lebzeitiges Eigeninteresse an der von ihm vorgenommenen Schenkung gehabt habe. Ein lebzeitiges Eigeninteresse sei anzunehmen, wenn nach dem Urteil eines objektiven Beobachters die Verfügung in Anbetracht der gegebenen Umstände auch unter Berücksichtigung der erbvertraglichen Bindung als billigenswert und gerechtfertigt erscheine. Ein derartiges Interesse käme etwa dann in Betracht, wenn es dem Erblasser im Alter um seine Versorgung und gegebenenfalls auch Pflege ginge.

Allein aus dem Umstand, dass eine Pflege durch den Beschenkten nur bei Bedarf erfolgen solle, könne nicht auf ein fehlendes lebzeitiges Eigeninteresse des Schenkers geschlossen werden.

Das Bedürfnis eines alleinstehenden Erblassers nach einer seinen persönlichen Vorstellungen entsprechenden Versorgung und Pflege im Alter sei auch dann ein vom Vertragserben anzuerkennendes lebzeitiges Eigeninteresse, wenn der Erblasser es es dadurch zu verwirklichen suche, dass er eine ihm nahestehende Person durch eine Schenkung an sich bindet.

Der Senat wies aber auch darauf hin, dass ein lebzeitiges Eigeninteresse nicht zwingend für den gesamten Schenkungsgegenstand angenommen werden müsse, sondern auch lediglich einen Teil der Schenkung rechtfertigen und insoweit einen Missbrauch der lebzeitigen Verfügungsmacht ausschließen könne. Hierbei seien die Grundsätze der gemischten Schenkung entsprechend anzuwenden, wobei allerdings keine rein rechnerische Gegenüberstellung des Werts der erbrachten Leistungen mit dem Grundstückswert vorzunehmen sei. Vielmehr habe eine Gesamtabwägung zu erfolgen.

Mit diesen Feststellungen gab der BGH die Sache zurück an das Kammergericht Berlin – sodass es nun ein Urteil unter Berücksichtigung der Auffassung des BGH finden kann.

Dieses Urteil lässt erkennen: Die Einordnung eines Sachverhalts in die Kategorien Schwarz und Weiß findet sich in der Rechtsrealität selten. Vielmehr sind im Rahmen eines Grautons, die Nuancen herauszufiltern, sodass man auf ein helleres oder dunkleres Grau stößt.

Konkret bedeutet dies für die Praxis, dass alle Arten von Belastungen des Schenkungsgegenstandes und sonstige Einschränkungen und Gegenleistungen sorgsam beurteilt werden müssen, um bestimmen zu können, ob eine Schenkung i.S.d. § 2287 Abs. 1 BGB vorliegt und von welchem Umfang auszugehen ist.

 

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