Fluch und zugleich Segen ist in der Zivilgerichtsbarkeit der sogenannte Beibringungsgrundsatz.

Er besagt, dass die Parteien jeweils den streitgegenständlichen Stoff selbständig sammeln und dem Gericht vortragen müssen.

Das ist für die Gerichte insofern praktisch, als dass sie gemütlich abwarten dürfen, bis das relevante Material beigebracht wurde – anders als die Straf- oder Verwaltungsgerichte, die den Sachverhalt selbst ausforschen müssen. Andererseits dürfen sie sich auch (überwiegend) nicht einmischen, wenn sie den Eindruck haben, dass eine Information fehlt. Letzteres kann in gewissen Maße auch Frustration auf Seiten des Richters hervorrufen.

Eine Ausnahme in zivilrechtlichen Angelegenheiten bilden diejenigen, die unter das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (kurz „Familienverfahrensgesetz“ und noch kürzer „FamFG“) fallen. Nach § 26 FamFG hat das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen. Darunter fallen auch einige Nachlassangelegenheiten.

Diese Ermittlungen hatte das OLG München bei der Frage der örtlichen Zuständigkeit des Nachlassgerichts vermisst. In seinem Beschluss vom 22.03.2017 zum Az.: 31 AR 47/17 forderte das OLG weitere Nachforschungsmaßnahmen.

Dieser Entscheidung lag folgender Fall zugrunde.

In der Nachlasssache ging es um einen Erblasser, der erst drei Wochen vor seinem Ableben in ein Pflegeheim gebracht wurde. Der ursprüngliche Wohnsitz befand sich in einem anderen Gerichtsbezirk, als der Sitz des Pflegeheims.

Die beiden Gerichte der Bezirke befanden sich als nicht zuständig. Sie sahen die Zuständigkeit beim jeweils anderen Gericht. Daraufhin legte eines der Gerichte dem nächsthöheren gemeinsamen Gericht, dem OLG München, für ein Bestimmungsverfahren die Frage vor, wer denn nun zuständig sei.

Das OLG München beantwortete die Frage nach der Zuständigkeit wie folgt:

Eine Zuständigkeitsbestimmung könne erst dann erfolgen, wenn das vorlegende Nachlassgericht seiner Pflicht zur Ermittlung der zuständigkeitsbegründenden Tatsachen nach § 26 FamFG nachgekommen sei.

Für die Zuständigkeit des Nachlassgerichts sei nach § 343 Abs. 1 FamFG maßgeblich, wo der Erblasser zum Todeszeitpunkt seinen gewöhnlichen Aufenthalt tatsächlich hatte.

In der vorgelegten Angelegenheit fehle es noch an ebendieser Feststellung, an welchem Ort der Erblasser zum Todeszeitpunkt seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

Der gewöhnliche Aufenthalt könne nicht lediglich objektiv danach bestimmt werden, ob die Person sich länger an einem bestimmten Ort aufgehalten hat oder wie die Anschrift lautet.

Vielmehr sei eine subjektive Komponente miteinzubeziehen, sodass eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände zu erfolgen hat.

Besonders hervorzuheben sei an dieser Stelle ein Aufenthalts- beziehungsweise Bleibewille. Andernfalls könnten Fälle erzwungenen oder willenlosen Aufenthalts nicht zufriedenstellend geklärt werden. Es bestünde dann die Möglichkeit, das materielle Erbrecht zu manipulieren.

Dafür müsse der Erblasser noch zur Willensbildung fähig sein. Verlöre er seine Geschäftsfähigkeit vor dem Ortswechsel, so könne er den gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr ändern. Dies habe zur Folge, dass die Frage nach der Willensbildungsfähigkeit gegebenenfalls durch einen Sachverständigen zu klären sei.

Bei einer Aufnahme in einem Pflegeheim unmittelbar vor dem Tod dränge sich die durch das Nachlassgericht zu klärende Frage auf, ob der Erblasser aufgrund eigenen Willens den Aufenthaltswechsel vollzogen habe.

Diese Frage habe das Vorlagegericht nicht geklärt. Es solle feststellen, ob der Erblasser zum Zeitpunkt der Übersiedlung noch zur Willensbildung fähig war und ob es seinem Willen entsprach, sich in ein Pflegeheim zu begeben. Dabei habe sich das Gericht sämtlicher ihm zugänglicher Erkenntnisquellen zu bedienen, wie beispielsweise Stellungnahmen des Pflegeheims, Anhörung von Angehörigen, Arztberichte oder Sachverständigengutachten.

Kurz gesagt, beantwortete das OLG die Frage nach der Zuständigkeit nicht, sondern forderte das Vorlagegericht auf, zuerst die Umstände aufzuklären, die für die örtliche Zuständigkeit eines Nachlassgerichts maßgeblich sind – namentlich den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Erblassers, da die Aufenthaltsumstände Anlass zur Nachforschung gaben.

Falls auch Sie sich mit der Frage beschäftigen, an welches Gericht Sie sich in einer Nachlassangelegenheit zu wenden haben, zögern Sie nicht, uns anzusprechen. Wir beraten Sie gerne. Sollte Ihnen beispielsweise eine Wahlmöglichkeit bei mehreren Gerichten offenstehen, erarbeiten wir mit Ihnen die optimale Vorgehensweise.

Nehmen Sie gerne mit uns Kontakt auf.

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