Zwei Schritte nach vorn – und einen zurück

 

Einmal im Jahr, so der Eindruck, äußert sich der BGH zum Thema Patientenverfügung. Selbstverständlich ist dies ein wichtiges Thema. Schon allein deswegen sollte man sich regelmäßig damit befassen.

Seine letzte Entscheidung beinhaltete die Quintessenz, dass Patientenverfügungen so konkret wie möglich sein müssten.

Die Festlegung „keine lebensverlängernden Maßnahmen“ für den Fall zu wünschen, dass „vitale Körperfunktionen dauerhaft und ohne Aussicht auf Besserung ausfallen, oder dass aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleiben sollte“, erachtete der BGH bei einer im Koma liegenden Patientin als nicht genau genug, um die Geräte abzuschalten.

 

Mit dieser Entscheidung wurden hunderttausende Patientenverfügungen wertlos.

 

Die Rechtspraxis hinterließ er mit hochgezogenen Augenbrauen: Wie genau müssen die Patientenverfügungen nun sein? Muss für die Bezeichnungen also ein Medizinerlexikon herangezogen werden?

Immerhin sind die meisten Personen, die eine Patientenverfügung hinterlassen, keine Ärzte. Und auch die beratenden Rechtsanwälte sind nur zu einem gewissen Grad medizinisch weitergebildet. Die korrekten medizinischen Bezeichnungen sind jedoch nur ein Problem.

Die andere Schwierigkeit besteht darin, dass zahllose medizinische Handlungsmöglichkeiten erfasst werden müssten. Das wäre auch der Fall, wenn es dem Patienten doch „nur“ um den generellen Willen geht, im Falle eines Komas, dessen Ende nicht absehbar ist, die Beendigung der lebenserhaltenden Maßnahmen einzuleiten.

 

In seinem Beschluss vom 08.02.2017, zum Az.: XII ZB 604/15 legte der BGH nun Folgendes fest:

Weiterhin enthalte die schriftliche Äußerung, dass „lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben“ sollen, für sich genommen nicht die für eine bindende Patientenverfügung notwendige konkrete Behandlungsentscheidung des Betroffenen.

Jedoch könne sich die notwendige Konkretisierung im Einzelfall auch bei nicht hinreichend konkret benannten ärztlichen Maßnahmen durch die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen ergeben. Der Wille des Errichters der Patientenverfügung sei dann durch Auslegung der in der Verfügung enthaltenen Erklärungen zu ermitteln.

Dieser Entscheidung lag folgender Fall zugrunde:

Eine 1940 geborene Frau, lag seit einem Herz-Kreislauf-Stillstand 2008 im Wachkoma. Als sie noch gesund war, hatte sie eine Patientenverfügung verfasst. In dieser hatte sie unter anderem festgelegt, dass „lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben“ sollten, sofern keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins bestünde.

Vor dem Hintergrund zweier Wachkoma-Patienten aus ihrem Bekanntenkreis hatte die Frau außerdem mehrfach gegenüber Familienangehörigen und Bekannten erklärt, sie wolle nicht so am Leben erhalten werden. Sie wolle nicht so daliegen. Lieber sterbe sie. Sie habe aber durch eine Patientenverfügung vorgesorgt, das könne ihr nicht passieren.

In der Verfügung beschrieb sie einige Fälle, in denen sie die Beendigung von lebenserhaltenden Maßnahmen wünschte. Darunter fiel unter anderem die Situationen, dass keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins bestünde, oder dass aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleibe.

Ferner legte sie in ihrer Verfügung fest, keine aktiven Sterbemaßnahmen zu wünschen.

Im Juni 2008 – nach dem Schlaganfall, aber vor dem Herz-Kreislauf-Stillstand – erhielt die Frau zudem einmalig die Möglichkeit, zu sprechen. Bei dieser Gelegenheit sagte sie ihrer Therapeutin: „Ich möchte sterben.“

Der Sohn und der behandelnde Arzt wollten ab 2014 die künstliche Ernährung der Frau einstellen, unter Berufung auf die Patientenverfügung. Jedoch widersprach der Ehemann, der seine Frau pflegte. Die angerufenen Gerichte verweigerten die Genehmigung zum Behandlungsabbruch.

Sie waren der Ansicht, das Abschalten der Geräte zur künstlichen Ernährung stelle als aktives Tun eine aktive Sterbehilfe dar, die die Patientin ausdrücklich nicht gewünscht habe. Vielmehr hätte man die lebenserhaltenden Maßnahmen, zu dem Zeitpunkt, in dem sie notwendig wurden, unterlassen müssen. Da diese Maßnahmen aber nun getroffen seien, stelle das Abschalten von Geräten eine aktive Sterbehilfe dar. Es sei anzunehmen, dass die Patientin nun in dieser Situation verbleiben wolle.

Dieser Auffassung schloss sich der BGH nicht an, hob die Entscheidung des Landgerichts auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung zurück.

Die Auslegung, die Patientin empfinde das Abschalten als aktive Sterbehilfe, sei verfehlt.

Vielmehr sei hier eine Gesamtschau vorzunehmen. Dabei seien zum einen die Äußerungen der Patientin gegenüber den Bekannten und Verwandten einzubeziehen, als auch die konkrete Aussage gegenüber der Therapeutin, sterben zu wollen.

Ferner ließen die Aufzählungen der Behandlungsumstände in der Patientenverfügung den Schluss zu, dass die Patientin in der nun eingetreten Situation die Einstellung der künstlichen Ernährung wolle.

Im Ergebnis setzt der BGH nun auf der anderen Seite an: So hatte er zuvor auf die konkrete Beschreibung der zu treffenden Maßnahmen abgestellt, wie z.B. das Abschalten von Maschinen, die der künstlichen Ernährung dienen. Nunmehr knüpft er hinsichtlich der Spezifikation an den Umständen an, die das Eingreifen der Verfügung begründen sollen, also beispielsweise wenn keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht.

Darüber hinaus fordert er Umstände, die eine dahingehende Auslegung ermöglichen, wie vorliegend die Äußerungen im Bekanntenkreis.

 

Eindeutige Vorgaben liefert der BGH damit immer noch nicht. Damit sind nur Einzelfallentscheidungen möglich. Einen Fall im Einzelnen zu beurteilen ist löblich und führt tendenziell zu angemesseneren Entscheidungen. Jedoch kann das nicht das Ziel für das Verfahren mit Patientenverfügungen sein. An dieser Stelle sind vielmehr klare Leitlinien gefordert, um willkürlich wirkende Entscheidungen, wie die im Juli 2016, zu vermeiden.

 

Bis dahin nehmen wir uns gerne Ihren Wünschen an und erarbeiten mit Ihnen eine bestmögliche Lösung für Ihre Patientenverfügung. Natürlich beraten wir Sie hinsichtlich weiterer vorzunehmender Schritte, sodass alle notwendigen Vorkehrungen getroffen worden sind, wenn Sie dazu möglicherweise nicht mehr in der Lage sind.

Vereinbaren Sie gerne einen Termin.

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