Dass sich das Leben nicht immer planen lässt, ist für jeden Menschen, der bereits über 20 ist, keine Neuheit.

An dieser Lebensgewissheit muss sich der Verfasser eines Testaments orientieren: Es sind alle Eventualitäten zu regeln.

Dass dies manchmal nicht so einfach ist, lässt sich an folgendem Fall veranschaulichen, den der BGH in seinem Beschluss vom 12.07.2017 (Az. IV ZB 15/16) behandeln durfte:

In dem zugrundeliegenden Fall verstarb die Erblasserin im Oktober 2015 kinderlos. In ihrem Testament, das sie im September 2007 abgefasst hatte, ordnete sie an, dass ihr Lebensgefährte das Hausgrundstück samt Einrichtung bis zu seinem Lebensende nutzen dürfe. Zugleich wurde er verpflichtet, den gesamten Besitz zu pflegen, ausreichend zu versichern und erforderliche Reparaturen zu veranlassen. Nach dem Tod des Lebensgefährten, sollte das „gesamte Objekt“ an die Patentochter des vorverstorbenen Ehemannes der Erblasserin übergehen. Eventuell noch vorhandenes Bar- oder Anlagevermögen sollte für die Beerdigung und Grabpflege eingesetzt werden. Ihren Schmuck vermachte die Erblasserin der Frau ihres noch lebenden Bruders – ihrer Schwägerin.

Im Juli 2016, kurz vor dem Tod der Erblasserin, verstarb ein ehemaliger Kriegskamerad des Vaters der Erblasserin, der sie zu seiner Alleinerbin bestimmte und ein beträchtliches Vermögen hinterlassen hatte. Der Bruder der Erblasserin und die Patentochter stritten im Erbscheinsverfahren darüber, ob in Bezug auf dieses Vermögen nun der Bruder im Wege der gesetzlichen Erbfolge Erbe wurde oder ob die Patentochter Erbin wurde.

Die Erblasserin hatte im Testament alle damaligen Vermögensgegenstände verteilt, jedoch ohne eine ausdrückliche Erbeinsetzung anzuordnen. Nun stellte sich die Frage, wer nunmehr der Erbe des nach der Testamentserrichtung erfolgten, überraschenden Vermögenserwerbs der Erblasserin sein sollte.

In der Vorinstanz war das OLG Düsseldorf zu dem Schluss gekommen, dass das Testament eine Regelungslücke vorweise, die eine ergänzende Vertragsauslegung notwendig mache. In diesem Rahmen sei vermutlich auf die gesetzliche Auslegungsregel des § 2088 Abs. 1 BGB zurückzugreifen, wonach im Übrigen eine gesetzliche Erbfolge eintrete, wenn der eingesetzte Erbe nur auf einen Bruchteil der Erbschaft eingesetzt wurde. In diesem Fall wäre im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge der Bruder Erbe nach § 1925 BGB geworden.

Der BGH war mit dem Ansatz des OLG nicht einverstanden. Eine ergänzende Testamentsauslegung käme nur in Betracht, wenn ein Testament eine ungewollte Regelungslücke aufweise.

Eine solche läge vor, wenn ein bestimmter, tatsächlich eingetretener Fall vom Erblasser nicht bedacht und deshalb nicht geregelt worden sei, aber geregelt worden wäre, wenn der Erblasser ihn bedacht hätte.

Ob dann von einer planwidrigen Unvollständigkeit der Verfügung auszugehen sei, könne nicht schematisch anhand der Wortlauts der letztwilligen Verfügung festgestellt werden.

Es sei vielmehr eine wertende Gesamtbetrachtung aller Umstände bei Testamentserrichtung vorzunehmen.

Vorliegend könne aus dem Umstand, dass die Erblasserin den streitgegenständlichen Vermögenserwerb in ihrem Testament nicht ansprach, nicht geschlussfolgert werden, dass das Testament lückenhaft sei.

Es sei insofern zu prüfen, ob die durch die Auslegung ermittelte Erbeinsetzung nach dem Regelungsplan des Erblassers auch einen nachfolgenden, unvorhergesehenen Vermögenserwerb erfassen sollte, wenn der Erblasser durch Zuwendung einer Sachgesamheit den Nachlass erschöpfen und gleichzeitig einen Bedachten zum Alleinerben einsetzen wollte.

Mit diesem Gedanken verwies der BGH die Angelegenheit zurück an das OLG und machte dem Gericht einige Vorgaben für die weitere Prüfung:

Es sei zu erwägen, dass die Patentochter infolge der Zuwendung des Hausgrundstücks als Erbin anzusehen sei. Die Auslegungsregel des § 2078 Abs. 2 BGB, die besagen würde, dass die Zuwendung eines einzelnen Gegenstandes im Zweifel nur ein Vermächtnis und keine Erbeinsetzung beinhalte, würde nämlich insbesondere dann nicht passen, wenn der Erblasser sein Vermögen vollständig den einzelnen Vermögensgegenständen nach verteilt habe und er dem Bedachten die Gegenstände zugewendet habe, die nach seiner Vorstellung das Hauptvermögen bildeten.

Schließlich wolle der Erblasser, der sein gesamtes Vermögen verteilt, in der Regel nicht nur Vermächtnisnehmer, sondern auch einen Erben bestimmen.

In solchen Fällen sei die Zuwendung des wertmäßigen Hauptnachlassgegenstandes, zum Beispiel bei einem Hausgrundstück, regelmäßig als Erbeinsetzung des Bedachten anzusehen, wenn der Nachlass dadurch im Wesentlichen erschöpft würde oder der objektive Wert das übrige Vermögen an Wert so erheblich übertreffe, dass der Erblasser ihn als seinen wesentlichen Nachlass angesehen habe. Insofern spreche einiges dafür, dass die Patentochter als Erbin eingesetzt sei.

Auch sei zu prüfen, ob nicht eine Vor- und Nacherbschaft in Betracht käme. Da zunächst die Pflege durch den Lebensgefähren angeordnet worden sei und die Patentochter zumindest in den Genuss der zuvor vom Lebensgefährten genutzten Vermögensgegenstände kommen sollte, käme es in Betracht, dass die Patentochter insofern Nacherbin im Anschluss an den Lebensgefährten werden solle.

Diese Ansatzpunkte hat das OLG Düsseldorf nunmehr in seine weitere Entscheidung einfließen zu lassen. Das Ergebnis ist noch offen.

Letztlich ist aus dieser Entscheidung jedoch der Schluss zu ziehen, dass es viele Ansatzpunkte und Wege gibt, um den mit einem Testament verfolgten Willen zu entschlüsseln.

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